In der Wagerenhof-Küche werden über 5’000 Mahlzeiten pro Woche zubereitet. Verantwortlich für diesen systemrelevanten Auftrag sind die Fachmitarbeitenden. Dabei sind ihnen rund zehn Werk- und Tagesstätter eine grosse Hilfe. Nicht die Produktion allein steht hier an erster Stelle - es geht besonders auch um die Menschen, die hier mitarbeiten und um deren Entwicklung der Kompetenzen.
An einem normalen Wochentag sind in der Produktionsküche rund 12 Personen im Einsatz: Köchinnen, Hilfsköche, Lernende sowie Tages- und Werkstätter. Insgesamt besteht das Team aus 30 Mitarbeitenden. Entsprechend komplex gestalte sich die Einsatzplanung, erklärt Küchenchef Andreas Santer: «Die Küche muss ihren Auftrag durchgehend erfüllen. Jede Bewohnerin und jeder Bewohner hat Anrecht auf drei Mahlzeiten täglich.» Insgesamt werden rund 5’000 bis 6’000 Gerichte pro Woche zubereitet. Die 80 Diät-Menüs pro Tag sind in dieser Zahl noch nicht enthalten.
Andreas Santer, Küchenchef
Punkt halb acht versammeln sich alle Mitarbeitenden rund um die grosse Kücheninsel. Mit einem fröhlichen «Hallo miteinander» startet Andreas die Teamsitzung und winkt gut gelaunt in die Runde. Der Küchenchef steckt voller Tatendrang, sein tägliches Yoga-Ritual liegt bereits über drei Stunden zurück. Im ganzen Team ist nichts von einer morgendlichen Verschlafenheit zu spüren. Die Küchenarbeit setze eine gewisse Kondition voraus, erklärt Andreas. «Die Ansprüche des Gastes müssen erfüllt werden, dafür erbringt ein Koch oft eine Hochleistung.»
Etwas anders werden die Prioritäten in der Wagerenhof-Küche gelegt. Nicht die Produktion allein steht an erster Stelle – es geht besonders auch um die Menschen, die hier mithelfen. «Wir haben den Anspruch, dass unsere Tages- und Werkstätter im Küchenteam echte Inklusion erleben», sagt Andreas. Denn wenn die Bewohnerinnen und Bewohner könnten, würden sie alles selbst machen. Diese Philosophie wird im ganzen Wagerenhof gelebt. Die Küche kreiert für die Menschen mit einer Beeinträchtigung keinen «künstlichen» Arbeitsplatz. Vielmehr setzt sie jede helfende Hand sinnvoll ein. Alle werden gebraucht – natürlich immer unter der Voraussetzung, dass sie ihre persönliche Komfortzone nicht verlassen müssen.
Schon seit 20 Jahren gehört Michael zum Team: Er ist Tagesstätter, wohnt auswärts und arbeitet zurzeit vier Tage pro Woche in der Wagerenhof-Küche. «Funktionsbezeichnungen wie ‹Chef de Partie› oder ‹Sous Chef› existieren bei uns nicht», erklärt Andreas. Die gelernten Köche tragen alle den gleichen Titel. Wenn die Fachmitarbeitenden einen Tagesstätter oder Werkstätter unter ihre Fittiche nehmen, machen sie dies mit viel Engagement und einem grossen Herz. Aber natürlich entstehen auch mal schwierige Situationen. Michael etwa stellt hohe Ansprüche an sich selbst, er möchte alles richtigmachen. Als ihm das Falten einer Crêpe misslingt, gerät er etwas aus dem Konzept, fuchtelt wild mit den Armen und flucht. Schnell steht ihm Marco als aufmerksamer Fachmitarbeitender zur Seite und klopft dem Kollegen auf die Schulter, damit er sich beruhigen kann. Doch nicht immer gelingt es Michael, aus einer Situation herauszukommen. Draussen nach frischer Luft zu schnappen, sei dann meistens die beste Lösung, um herunterzufahren.
Als Andreas die Zusammenarbeit mit Jannik erwähnt, gerät er ins Schwärmen: «Er sieht die Arbeit und denkt mit.» Weil Jannik eine Lernschwäche hat, arbeitet er an einem geschützten Arbeitsplatz. Nichts scheint ihn aus der Ruhe zu bringen. Mit seinem verschmitzten Lächeln und der überlegten Art trägt er viel zur guten Stimmung in der Küche bei. «Jannik hat seine Kompetenzen in kurzer Zeit erweitert», freut sich der Küchenchef. Er sei immer motiviert, zeige grosse Freude am Beruf. Solche positiven Entwicklungen sind das Ergebnis einer gelungenen Inklusion! Mit Stolz erwähnt Jannik die Aussage seines Arbeitskollegen Michael: «Er sagte mir, dass ich für ihn ein Vorbild sei.» Und schon wieder erscheint dieses sympathische Lächeln im Gesicht.
Das Hand in Hand mit den Tages- und Werkstättern funktioniere gut, sagt Andreas. Pro Tag zaubert das Küchenteam drei verschiedene Menüs auf den Tisch. Für das heutige Vegi-Gericht liegen 20 Kilogramm gerüstete und über Nacht «sous-vide»-gegarte Endivien bereit. Aus den Rüstabschnitten wird eine Bouillon gekocht und mit dieser wiederum das beliebte Risotto. Geschätzte 30 Liter befinden sich im grossen Kippkessel. Alle freien Hände sind plötzlich überall im Einsatz. In riesigen Töpfen sprudelt das Wasser, die Lernende brät 40 Kilogramm Rindsgeschnetzeltes für ein sämiges Stroganoff. Immer wieder fallen die Ausdrücke «Schicken» und «Abschieben». Damit sind die Gastrobehälter aus Edelstahl gemeint, die entweder in die riesigen Hochleistungsöfen «abgeschoben» oder auf die insgesamt zirka 40 Wohngruppen-Wägeli «geschickt» werden. Trotz der aufgekommenen Hektik bleibt weiterhin Zeit für einen kurzen Schwatz. Der Lernende reicht Andreas sein selbstkreiertes Panna Cotta aus Tonkabohnen und Pistazien zur Degustation. Die beiden probieren und fachsimpeln. «Kochen ist ein Kunstwerk», sagt der Küchenchef. «Unsere Mitarbeitenden arbeiten mit Herzblut. Wir alle müssen nicht kochen – wir dürfen!»
Andreas gehört seit zwei Jahren zum Küchen-Team. «Als ich mich damals für die Stelle als Küchenchef interessierte, sprach mich vor allem die Philosophie von Ressortleiter Kurt Röösli sehr an.» Dieser wird in seinem Kochbuch (publiziert mit dem damaligen Arbeitgeber Hotel Waldhaus in Sils-Maria) wie folgt beschrieben: «Professionalität, ein wacher Blick für das Neue und Bessere und besonderes Geschick in der Motivation der Mitarbeitenden, denen er viel Kreativität lässt.» In der Wagerenhof-Küche werden dieselben Werte gelebt. Kein Wunder sind die betreuten Mitarbeitenden am Ende des Tages auch mal traurig und verlassen ihren Arbeitsplatz nur ungern.